In den vergangenen Jahrhunderten war der Setzkasten
mit den Bleibuchstaben in zwei Bereiche
unterteilt:
der obere Teil war den Groß-
und der untere Teil der Kleinbuchstaben vorbehalten.
Aus dieser Zeit stammen im Englischen die Begriffe
‚uppercase’ für Großbuchstaben
bzw. Majuskel und ‚lowercase’ für
Kleinbuchstaben bzw. Minuskel.
Abgeleitet aus lat. ‚maior, maius‘
(magnus) = „groß“, (plural:
Majuskeln)
Bezeichnet die Großbuchstaben des Alphabetes.
Eine andere verwendete Bezeichnung „Versal“
(plural: Versalien) betrifft eher die
Anfangsbuchstaben der Zeilen, Absätze, Verse.
Eine Majuskelschrift besteht ausschliesslich aus den
Großbuchstaben und bewegt sich auf dem
Zweilinienschema (Obergrenze / H-Linie und
Grundlinie). Kapitälchenschrift, die ebenfalls
eine Majuskelschrift ist, bewegt sich hingegen auf
dem Dreilinienschema (Obergrenze / H-Linie, x-Höhe
und Grundlinie). Im Gegensatz zu den Kapitälchenalphabeten
ist die Buchstabengröße der
Majuskelschrift konstant.
Die Entwicklung
der Majuskel teilt die Paläografie in vier
Phasen ein:
Abgeleitet aus lat. ‚minus‘ (comp. zu
parvus) = „klein, gering, kurz“,
(plural: Minuskeln)
Bezeichnet die
Kleinbuchstaben. Der Name „Gemeine“ (nur
im plural) wird im deutschsprachigen Raum verwendet;
er stammt von „gewöhnlich, häufig
vorkommend, verbreitet“ und bedeutet den
„gemeinen Zeichenvorrat“ d. h. die
restlichen Kleinbuchtstaben der Brotschrift, die bis
zu Beendigung der Arbeit zur Verfügung stehen.
Die Minuskeln hängen in ihrer Entwicklung von
der Majuskel ab: die Umwandlung der Großbuchstaben
durch die Schnelligkeit und Flüchtigkeit des
Handgeschriebenen.
Die Paläografie
unterscheidet folgende Entwicklungsphasen der
Minuskel:
- Griechische Minuskel im
Unterschied zur griechischen Majuskel und
Unziale. Beispiel.
- Römische Minuskel im
Unterschied zur römischen Majuskel,
Unziale, Halbunziale. Beispiel.
Schon vom ersten Auftreten kursiver
lateinischer Schriftdenkmäler am Ende
des 1.Jh. v. Chr. an zeigt die römische
Kursive, soweit sie als Gebrauchsschrift in
den Papyri erscheint, drei Jahrhunderte lang
mannigfache formale Veränderungen in
bezug auf Richtung, Buchstabenverbindung,
Verteilung der Haar- und Druckstriche und
Ausbildung der Ober- und Unterlängen.
Seit dem Ende des 3. Jh. ist die römische
Kursive als Vierzeilenschrift anzusprechen,
in der die Oberlängen von b, d, h, i,
1, und die Unterlängen von g, p, q das
Schriftbild bestimmen. Man pflegt diese
Vierzeilenschrift mit ihren schmalen
Buchstaben seit etwa 300 als jüngere römische
Kursive (Minuskelkursive) zu bezeichnen.
Gegenüber der neuerdings aufgestellten
These einer Entstehung dieser Kursive aus
der Halbunziale ist doch wohl an der
organischen Ableitung aus der älteren,
zweizeiligen (Majuskel-) Kursive
festzuhalten. Diese lebte übrigens in
der Kanzlei der römischen Kaiser, als
einleitende Auszeichnungsschrift in den
Protokollen der Gesta municipalia und in den
als Zahlzeichen verwendeten Buchstaben D, L,
M weiter. Im 4. Jh., als Kaiser Konstantin
mit der Neugründung einer
Kaiserresidenz am Bosporus den Grundstein für
das tausendjährige byzantinische Rhomäerreich
legte, als der Osten und Westen des Imperium
Romanum in Verwaltung und Kultur sich noch
enger verflochten als vordem, beginnt die
merkliche gegenseitige Beeinflussung von
griechischer und lateinischer Kursive, die
auch noch in den beiden folgenden
Jahrhunderten mit Händen zu greifen ist
(Quelle: Hunger H., Zum antiken und
mittelalterlichen Schriftwesen: Lateinische
Palaiographie, München: 1975.
- Karolingische Minuskel (um 780
bis 12. Jahrhundert) im Unterschied zur
karolingischen Majuskel. Beispiel.
Mit den Jahrzehnten um 800, d. h. mit der
Regierungszeit Karls des Großen, hat für
die weitere Entwicklung der lateinischen
Schrift im Mittelalter die entscheidende
Stunde geschlagen. Zwar können wir es
ebensowenig wie bei der Säuberung der
griechischen Minuskel im 15. Jh. exakt
beweisen, daß eine Schriftreform
angeordnet und durchgeführt wurde. Aber
hier wie dort kennen wir eine Fülle von
Handschriften, die an sich schon eine
deutliche, klare Sprache sprechen. Es ist ja
nur zu verständlich, daß ein
Herrscher, der sich nicht mit der Gründung
und politischen Sicherung eines Großreichs
begnügte, sondern auch der Kultur
dieses Reichs größte
Aufmerksamkeit zuwandte, der selbst noch im
höheren Alter schreiben lernte, für
die Schrift und ihre Formen sehr
aufgeschlossen war. Wir besitzen noch eine
Reihe von Prachthandschriften, die aus der
Hofschule Karls hervorgingen und deren
Miniaturen der nach Karls angeblicher
Schwester Ada benannten Schule von
Buchmalern entstammen. Hierher gehören
der Trierer Codex aureus (Ada-Evangeliar),
das Godescalc-Evangelistar, das Evangeliar
der Pariser Arsenalbibliothek und der
Goldene Psalter (Dagulf-Psalter)
in der Österreichischen
Nationalbibliothek. An diesen Kodizes, die
in Nachahmung byzantinischer imperialer
Prunkhandschriften, teils durchlaufend,
teils vereinzelt, Gold- und Silberschrift
auf Purpurpergament aufweisen, kann man die
zweifache Tendenz der karolingischen
Schriftreform ablesen. Einerseits versuchte
man mit der Wiederbelebung der antiken
Literatur im Rahmen der sog. karolingischen
Renaissance auch die alten lateinischen
Buchschriften, die Capitalis, die Unziale
und Halbunziale, nicht nur als
Auszeichnungsschriften, zu neuem Leben zu
erwecken. Diesen archaisierenden Tendenzen
war nur ein zeitlich begrenzter Erfolg
beschieden, der über das 10. Jh. kaum
hinausreichte.
Andrerseits sollte
eine gut lesbare, einheitlich stilisierte
Minuskel geschaffen werden, die dem Ideal
einer Vierzeilenschrift besser entsprach als
die Halhunziale, von den Kürzungen und
Ligaturen der Halbkursive frei war und im
ganzen gefällige Proportionen zu einem
ästhetisch befriedigenden Schriftbild
verband. So präsentiert sich uns die
karolingische Minuskel als eine Buchschrift
hohen Ranges, in der auch die Buchstaben a,
g, n dem Minuskelalphabet angepaßt
sind und ähnlich wie hei der
griechischen Perlschrift ein idealer
Ausgleich von Rundungen und Geraden erzielt
werden konnte. Das oben erwähnte
Godescalc-Evangelistar ist in wiederbelebter
Unziale, die Überschriften in Capitalis
zwischen 781 und 783 geschrieben, enthält
aber auch ein Widmungsgedicht in
karolingischer Minuskel von der Hand des
Schreibers Godescalc. Der Goldene Psalter
wiederum weist charakteristische Überschriften
und Initialen in Capitalis und Unziale auf,
während der Text selbst, noch vor 795,
von Dagulf in karolingischer Minuskel
geschrieben wurde (w. o.).
- Insulare Minuskel: vom 8. bis
ins 12.Jahrhundert im angelsächsisch-irischen
Raum verbreitet. Beispiel.
Neben dieser breiten ornamentalen Halbunziale
beobachten wir eine ganz anders geartete
insulare Minuskel, eine ausgesprochene
Spitzschrift mit schmalen, spießigen
Formen, die an die Zähne eines Kammes
erinnern, und mit einem oben spitz
geschlossenen a. g zeigt halhunziale Form
…, r hat eine große Unterlange
und ähnelt dem langen s, dessen Bogen
sich aber nicht mehr wie beim r nach oben
wendet. Die nach unten dünner
werdenden, spitzen Unterlängen geben
der Schrift ihr charakteristisches Gepräge.
Dazu trägt ein bestimmter Federschnitt
und die Federhaltung – Ellbogen vom Körper
weit abgewinkelt – bei. Die Schrift
steht senkrecht, ist gelegentlich eher links
geneigt, zeigt scharfe Spitzen und kantige
Konturen sowie keilförmig ansetzende
Oberlängen. Diese sehr platzsparende
Schrift, die man gerne als irische Minuskel
bezeichnet, eignet sich trefflich für
Glossen und Marginalien aller Art, wo sie
manchmal in richtigen Zwergformen auftritt.
Viele Kodizes sind aber auch zur Gänze
in dieser an Kürzungen und Ligaturen
reichen Schrift geschrieben, die sich bis
ins hohe Mittelalter (12. Jh.) erhalten
konnte. Da die Grenze zwischen dieser
„irischen“ und einer „angelsächsischen“
Minuskel oft kaum zu ziehen ist, empfiehlt
es sich auch hier, von ‚insularer
Minuskel‘ zu sprechen.
Auf
englischem Boden lassen sich verschiedene
Lokaltraditionen feststellen, die in den
festländischen Klostergründungen
und Skriptorien angelsächsischer
Missionare fortwirkten. So lebt der
nordhumbrische Stil im 8. Jh. im Kloster
Echternach (gegründet vom hl.
Villibrord), der südenglische hingegen
im Missionsgebiet des hl. Bonifatius
(Mainfranken, Hessen), besonders in dem von
ihm gegründeten Kloster Fulda bis in
die Mitte des 9. Jh. weiter. Ebenso stark
ist der insulare Einfluß in den
Handschriften kontinentaler Klöster mit
irischer Gründertraditionen wie Luxeuil
(Burgund) und Bobbio (bei Piacenza; beide
vom hl. Kolumban gegründet), St. Gallen
und in dem vom hl. Kilian missionierten
Frankenland. Aber auch an vielen anderen
Orten wie Salzburg, der Reichenau, Fulda,
Regensburg und Mainz können wir
insularen Einfluß zum Teil noch bis
ins späte 11. Jh. nachweisen (w. o.).
- Westgotische Minuskel (spanische
Minuskel): ab dem 8. Jahrhundert auf der
iberischen Halbinsel verbreitet, seit dem 10.
Jahrhundert zunehmend von der karolingischen
Minuskel verdrängt. Die Anfänge der
westgotischen Schrift in Spanien lassen sich im
7. Jahrhundert vermuten, wobei anzumerken ist,
dass diese Kursivminuskel ihre Besonderheiten
erst gegen Mitte, Ende des 7. Jahrhunderts
erhielt. Sie wurde in etwa bis in das 11.
Jahrhundert verwendet. Entstanden ist sie aus
der Kursive. Im Laufe der Jahrhunderte
entwickelte sich aus dieser Gebrauchsschrift
auch eine feine Buchschrift. Charakteristisch für
die kräftigen und steilen Oberlängen
sind die an den Oberlängen oft verdickten
Buchstaben. Erkennbar ist diese Schrift an dem
offenen u-förmigen a (westgotisches a), dem
e mit einer vergrößerten Zunge, dem
q-förmigen g (westgotisches g), dem kleinen
r und t, welches oft einen geneigten Querbalken
hat (westgotisches t) (Paläografie-Vorlesung,
Universität Hamburg).
- Frühgotische (ab Ende 11.
Jh. bis 13. Jahrhundert),
gotische (14. Jh.) und spätgotische
(16. Jh.) Minuskel im
Unterschied zur gotischen Majuskel. Ab dem 11.
Jahrhundert vollzog sich ein Stilwandel von der
Karolingischen zur Gotischen Minuskel . (Diese
Bezeichnung ist nur eine Sammelbezeichnung für
vielältige Spielarten, die den einzelnen
Sonderformen nicht ganz gerecht wird.) Sie
entwickelte sich in Belgien und Nordfrankreich
und verbreitete sich dann ab dem 12. Jahrhundert
über ganz Europa, wo sie sich im 13. und
14. Jahrhundert durchgesetzt hatte.
Charakteristisch für alle Varianten (im
Gegensatz zur karolingischen Minuskel) sind
gerade und gestreckte Schäfte, auf der
Zeile stehenden Buchstaben, die eng zusammengerückt
sind, spitze Winkel und eckige Formen. Des
Weiteren ist das a
auffällig, das einen herabhängenden
oberen Bogen hat. Weitere Erkennungsmerkmale
sind das runde d (Gotisches d),
das runde Schluss-s (Schluss-s
das später einer 8 ähnelt und
geschlossen ist) und das lange s (Mitten-s)
in der Wortmitte.
Im Zuge der im 12.
und 13. Jahrhundert (wieder-) erreichten
Schriftlichkeit waren nun auch verstärkt
Laien in der Lage zu schreiben. Nicht nur der
Hochadel, sondern auch der Niederadel sowie das
städtische Bürgertum waren wieder zu
einer schriftlichen Dokumentation fähig.
Die Erweiterung der Benutzerkreise bedeutete für
die bisher relative einheitliche Buchschrift,
die gotische Normalschrift Textura,
das Ende. Die gotische Minuskel, die, wie
der Name zu suggerieren versucht, sowieso kein
einheitliches Gebilde war, lässt einige
hier besonders zu erwähnende Spielarten
erkennen: Die südeuropäische Rotunda
hat breite Buchstaben, ein zweistöckiges a
und Bogenverbindungen. Die Anfänge sind am
Beginn des 13. Jahrhunderts
nachzuweisen.
Im 14. Jahrhundert wurde
als Vorläufer der Antiqua die Buchschrift
Gotico-Antiqua oder Fere
humanistica geschaffen, indem Elemente
aus der Antiqua zur Verschönerung der
gotischen Schrift verwendet wurden. Die Vielfalt
wird durch die allgemeinere Schriftlichkeit noch
gesteigert, da jetzt in den gotischen Kursiven (Notulæ
genannt) auch eine Geschäftsschrift
entsteht. Diese Kursiven hatten kleinere, flüchtigere
und verbundene Buchstaben, deren Oberlängen
als Schlingen und Schleifen ausgebildet wurde.
Auch die Nutzung von Papier bedeutete für
die Textura eine einschränkende Nutzung, da
sie für Papier wenig geeignet war. Die
Kursiven haben dann Einfluss auf die
Buchschriften genommen und so haben sich aus
dieser Mischung die verschiedenen Bastarden
ausgebildet, die in vielfältigen Spielarten
verwendet wurde. Als Beispiel ist hier die
Fraktur (langes s und f sind charakteristisch)
zu nennen. Die Bastarden zeichnen sich durch
spitzbögige Rundungen und Köpfe an den
oberen Schaftgabelungen aus. (w. o., vgl. auch:
Bischoff: 163-186, Brandt: 77, Foerster:
196-215, Goetz: 340.)