Gute Typen, schlechte
Typen.
Goldene Regeln für
schlechten Satz
Angewandte Typografie ist letzten Endes
Geschmackssache. Allerdings: Ob trendig-schräge,
undergroundige, mainstreamige,
raditionellkonservative oder einfach zum Thema
passende Type-Designs gut rüberkommen oder
dilettantisch, liegt an der Kompetenz von Setzer und
Setzerin. Unabhängig vom angestrebten Design
unterliegen typografische Gestaltungen
typografischen Gesetzmäßigkeiten. Diese können
eingehalten oder ignoriert werden. Zur Anwendung
kommt in jedem Fall eine Regel:
Ihre Drucksachen werden Aussagen über Ihre
Satz-Kompetenz treffen &endash; freiwillig oder
unfreiwillig. Warum also nicht offensiv damit
umgehen? Wie Sie einfach und sicher unansehnliche,
schlechte sowie ästhetische
Minimalanforderungen unterschreitende
Sofortkandidaten für den Altpapier-Container
generieren, zeigen Ihnen die folgenden Goldenen
Typo-Trash-Regeln.
01
Sage alles möglichst GROß
UND LAUT!!!
Ignoriere den Zeichenreichtum guter Schriften!
Typografische Zurückhaltung und Angemessenheit
in der Wahl der Mittel sind absolut zu vermeiden!
Wozu mühselig Kursivschriften, Kapitälchen
(womöglich noch echte, die nichts als zusätzliches
Geld kosten) oder dezent gefettete Schriftschnitte für
Auszeichnungen und Hervorhebungen auswählen,
wenn es auch einfacher geht? Viele
Amateur-Typografen können nicht irren: GROß
fällt einfach immer auf!! Garniert mit nochmals
hervorkehrenden Ausrufezeichen, um die Wichtigkeit
der getroffenen Aussage zu dokumentieren (sehr
effektiv: zwei, drei oder mehr), weisen GROßBUCHSTABEN
zwei Vorteile auf. Erstens sind sie unübersehbar.
Sie fallen aus jeglichem Zusammenhang (der sowieso
unwichtig ist) heraus und lenken das Auge des Lesers
treffsicher schlagend auf die wirklich wichtigen
Dinge des Lebens. Zweitens lässt sich die
Methode im DTP-Satz sehr einfach generieren.
Empfehlung: Machen Sie von den Errungenschaften
moderner Tastaturen möglichst extensiven
Gebrauch und stellen Sie die SHIFT-Taste so oft es
geht auf Dauerbetrieb.
Vorteil: Das Ignorieren
spießiger Regeln (wie etwa der, dass der
Gebrauch von »ß« in versal
gesetzten Type-Designs Fauxpas Nummer eins ist) können
Sie auf diese Weiserecht souverän zelebrieren.
Insgesamt sorgt die stringente Anwendung von
Trash-Regel 1 auch für die Umsetzung Ihres
Hauptanliegens &endash; dass Sie und Ihr Text
ernst genommen werden. Und darauf kommt es schließlich
an, oder?
02
Ignoriere den Zeichenreichtum
guter Schriften!
Großbuchstaben bieten jedoch noch weitere
Vorteile. Insbesondere technische Texte (oft
anzutreffen in Computerzeitschriften) enthalten jede
Menge Großbuchstaben-Abkürzungen. Ob die
jemand versteht, ist vollkommen peripher. IHR Job
ist es, Begriffe wie ASCII-Code, JPEG, in PDF
umgewandeltes EPS, UdSSR, CDU, SPD, UNO, RTL und
andere angemessen hervorzukehren. Die Befolgung
dieser Unterregel ist einfach. Sie brauchen nichts
zu tun! So genannte High-End-Typografen verringern
dagegen bei Großbuchstaben-Abkürzungen
die Schriftgröße um fünf bis zehn
Prozent; Ihr einziger Job hingegen ist, dies
tunlichst zu unterlassen. Ähnlich sieht es bei
der Verwendung so genannter Zusatzzeichen aus,
enthalten in so genannten Expert- und
Small-Caps-Zusatzschriftschnitten. Vermutlich ist
die Gefahr gering, dass Sie von der Existenz solch
sonderbarer Zeichenfiguren-Sätze wie echter
Kapitälchen oder Mediävalziffern überhaupt
gehört haben. Falls doch: Den Zeichenreichtum
gut ausgebauter Antiquaschriften, wie etwa Minion
oder Adobe Garamond, sollten Sie unbedingt links
liegenlassen. Keinesfalls sollten Sie daher Ziffern
in Lesetexten mit Expert-Schriftschnitten
umformatieren. Und, sehen Sie sich um: Wer verwendet
Mediävalziffern? Gut gesetzte Bücher?
Geschenkt! Ihre Welt ist schließlich die der
Flyer vom Supermarkt um die Ecke. Dies soll auch
typografisch so bleiben!
03
Verwende möglichst
unechte Kursive!
Es kann durchaus sein, dass ein Kunde, ungeachtet der
großartigen Formatierungsmöglichkeiten
mittels regelmäßig angewandter
SHIFTLOCK-Taste, auf kursive Auszeichnungen besteht.
In diesem Fall sitzen Sie in der Klemme, denn
unechte Kursive &endash; also eine elektronisch
schräggestellte Antiqua-Schrift &endash;
sind in Postscript-Umgebungen kaum verlässlich
hinzukriegen. Sie formatieren in ehrlicher
Trash-Absicht unecht kursiv per Xpress-Schriftstil;
der Postscript-RIP hingegen sucht sich prompt die
Garamond Italic. Zumindest unter Windows steigt
jedoch die Wahrscheinlichkeit rapide, echte unechte
kleine»a«-Kursivbuchstaben zu erhalten:
In der Kombination mit stetiger Verwendung von
Truetype-Billigschriften mit nur einem Schnitt.
Lange Rede kurzer Sinn: Um Trash-Effekt 3 zu
erhalten, müssen Sie Ihr System unter Umständen
ein klein wenig konfigurieren: Echte Kursivschnitte
raus, Billigfonts drauf.
04
Verwende immer die »DTP-Stile«!
Unterstreichungen, DTP-generierte Shadow und
Outline-Texte sind einfach geil! Trash-Typografie
kommt somit ohne diese stilistischen Hervorheber
nicht aus. Geeignet sind sie vor allem in
Situationen, wo der Gebrauch von Regel 1 doch ein
wenig Abwechslung erfordert. Die Einhaltung der
Regel ist einfach. Selbst professionelle
DTP-Programme haben diese beliebten Formatierungsmöglichkeiten
oft im Angebot (Quark Xpress: Schriftstile; als Knöpfe
griffig-direkt in der Maßpalette). Wenden Sie
diese Innovationen auch an. Das Motto:
Software-generierte harte Schlagschatten, durch
Buchstaben-Unterlängen hindurchgehende und
direkt unter dem Text sitzende Unterstreichungen
sowie trashig-dick strichige Outline-Headlines
braucht die Welt!
05
Ignoriere
Textformulierungs-Standards!
Schreibe jede Ziffer im Text auch als Ziffer und kürze
extensiv ab! Die Platzspar-Regel, die nicht umsonst
dem Kleinanzeigen-Genre entstammt, eignet sich vor
allem bei kleinplatzigen Anzeigen. Journalisten
lernen als Regel, Ziffern bis zwölf als Wort
auszuschreiben sowie auf Abkürzungen zu
verzichten. Herr Augstein, Rowohlt oder Bertelsmann
können solche Platzverschwendung locker
bezahlen. Ihre Kunden und Sie hingegen haben nichts
zu verlieren! Also: Das Unterbringen von möglichst
viel Text auf wenig Platz (siehe auch Regel 7)
schont nicht nur die Gelenke, sondern stellt auch
Ihren Sinn für Ökonomie unter Beweis.
Textpassagen wie »S. a. d. Hinw. in Kap. 5«
oder »1a-Samml. billig abzg.!« zeigen,
dass von Ihnen selbst Hans Eichel noch was lernen könnte.
06
Divis genügt!
Konsequent durchgehaltene Divis-Striche sind ein
schlagkräftiges Mittel, die Wirkung von Texten
erheblich zu vereinfachen. Aus dem Schatzkästlein
der Typotrash-Reduktionsregel-Unterspezies stammend,
ist die Befolgung dieser Maßgabe recht
einfach. Egal ob Cent-Betrag hinter der Preisangabe
(Halbgeviertstrich), Gegen-Bindestrich zwischen
Dortmund–1. FC Köln, Gedankenstrich bei
Nebensatz-Einschüben oder Trennungsstrich: Ihr
einziges Strich-Tastenzeichen liegt stringent neben
der Punkt-Taste.
Vorteil: Der »kleine Kurze« entschlackt
Texte von differenzierendem und damit unnötigem
Ballast und hilft, den Blick auf das Wesentliche
zulenken. Gut kommt diese Regel vor allem bei
Texten, deren theoretische Weitschweifigkeit ein
bisschen Reduktion gut vertragen kann.
07
Verhalte dich volkstümlich!
Hat Ihr Supermarkt-Filialleiter um die Ecke InDesign
oder Quark Xpress? Kennt er die nötigen
Tastaturgriffe zur Erzeugung ASCII-code-gerechter
An- und Abführungszeichen? Na also! Wollen Sie
mit Ihrer teuren DTP-Software angeben? Nein?
Zugegeben: Sie macht es Ihnen auch etwas schwer.
Xpress etwa, welches die Zoll-Zeichen (über der
2) intern in Schriftsatz-An- und Abführungen
umkonvertiert, benötigt gar beherzte Eingriffe
in den Programm-Vorgaben. Die sollten Sie jedoch
nicht scheuen. Ehrlich gesagt ist jedoch die Ära
der Office-Anführungsstriche am Ablaufen. Da
mittlerweile sogar Klassiker wie Word ihre trashige
Herkunft verbergen und Sekretärinnen
Volkshochschulkurse in Typo belegen, empfiehlt sich
im Zweifelsfall nur der Umstieg auf einen
Billig-Texteditor.
08
Keine eigenen
Blocksatzeinstellungen!
Profiprogramme machen die Einhaltung von
Absatzformat-Trashregel 1 recht schwer. Der
Knackpunkt liegt in den Silbentrennungs- und
Blocksatzgenerierungs-Algorithmen (in Quark Xpress:
»Bearbeiten; S&B). Beste Chancen für
ellenlange Wortzwischenräume haben Sie vor
allem bei der Kombination von (zu) großer
Schrift mit (zu) kleiner Spaltenbreite.
Naturbelassene S&B-Vorgaben in Xpress und
InDesign können diese Trashtypo-Spezies zwar
bereits im Werkszustand durchaus befördern. Auf
diese können Sie jedoch durchaus fördernden
Einfluss nehmen! Unterbinden Sie Silbentrennung bei
mit Großbuchstaben beginnenden Wörtern,
oder noch besser: Schalten Sie die Silbentrennung
ganz aus! Geben Sie maximale Toleranzzonen für
Wortzwischenräume ein, verbunden mit großzügig
bemessenen Normal-Werten.
Merke: Der Wortzwischenraum heißt so, weil er
als Raum zwischen den Wörtern steht, und den
sollte man sehen! Haben Sie die Ihnen bereits sehr
entgegenkommenden Werkseinstellungen Ihrer
DTP-Software entsprechend optimiert, können Sie
ebenfalls Texte generieren wie nebenstehend
abgebildet.
Möglich ist es jedoch auch, den so genannten
»Gummiband-Effekt«zu generieren: ein
Wort mit fünf Buchstaben wird über die
ganze Blocksatz-Zeile spationiert. Dieser vor allem
in den USA sehr beliebte Trash-Effekt erfordert
unter Umständen ebenfalls Eingriffe in Ihrer
Software. In der Xpress-Standard-S&B sind zwar
bereits vier Prozent Maximaltoleranz enthalten,
bessere Gummiband-Effekte erfordern jedoch die
Eingabe höherer Werte. Eine nette, umgekehrte
Variante ist übrigens, den Trenn-Algorithmus
auf »unbegrenzt«zu stellen und als
maximale Zeichenanzahl vor und hinter dem
Trennungsstrich »2« festzulegen.
Effekt: Das Programm fängt an, ohne Ende Text
zutrennen. Vorteil: Zur Geltung kommen in dem Fall
auch die schönen Divis-Zeichen, wie bereits in
Regel 6 beschrieben.
09
Schusterjungs machen Text
interessant!
Absatz-einleitende Zeilen am Ende einer Seite sowie
das Pendant, Absatz-abschließende Zeilen am
Anfang einer neuen Zeile (in der alten
Typografiesprache lapidar: Schusterjungen und
Hurenkinder) gilt es in der High-End-Typografie
unbedingt zu vermeiden, da solche Zeilen verloren
und irgendwie aus dem Zusammenhang gerissen wirken.
Sie werden es ahnen: In der Trash-Typografie ist das
anders! Hüten Sie sich also, die entsprechenden
Funktionen Ihrer Profi-Software zu verwenden (in
Xpress: »Stil; Formate...«, »Zeilen
zusammenhalten« ankreuzen, Start: 2, Ende:
2).
Verlorene Zeilen erfüllen einen sinnvollen
Zweck: Ist die Aufmerksamkeit des Lesers eingeschläfert,
reißt ihn der Ärger, dass er zum
Weiterlesen nun extra umblättern muss, aus
dieser kontraproduktiven Lethargie heraus. Effekt:
Die gebührende Aufmerksamkeit für den
Inhalt Ihres typografischen Werks ist
wiederhergestellt!
10
Setze Text kompress und eng!
Absatzformat-Trashregel drei. Sie kennen die Kunden,
die einen Roman voller unentbehrlicher Infos auf 45
x 45 Millimeter Anzeigenraum unterbringen wollen.
Unterstützen Sie diese Personen in ihrem
Anliegen! Sie wissen schließlich, dass
typografisches Engagement gerade in diesem Sektor
auch pekuniär reichhaltige Früchte trägt.
Kommen Sie dem typografisch entgegen. Helfen können
kleine, enge Condensed-Schriften, verbunden mit
einemZeilenabstand, der möglichst kleiner als
die Punktgröße der Schrift ausfallen
sollte. Kürzen Sie im Text ab.
Ist die Anzeige umrandet: Gehen Sie so weit wie möglich
an die Rahmengrenze heran. Platz für Aussagen
sollte nie verschenkt werden! Bringen Sie Logos und
Bilder da unter, wo noch Platz ist. Ihr
satztechnisches Motto sollte ein altes
Handwerker-Leitwort werden: »Was nicht passend
ist, wird passend gemacht.« Eben!
11
Strukturiere niemals
Zahlenkolonnen!
Bankleitzahlen, Telefonnummern, Postleitzahlen und
ähnliches werden in der High-End-Typografie
durch ein Regelwerk von „Gliederungsvorschriften“
reglementiert. Telefonnummern: Zweiergruppen,
Bankleitzahlen: Dreiergruppen. Und so weiter. Wer
soll da noch durchblicken? Ihre Kunden? Sie? Also!
Dem natürlichen Wildwuchs der Ziffern tut es
auch nicht gut: Jede Ziffer will schließlich
so sein, wie sie eben ist. Wozu gliedern? Stellen
Sie sich auf den Standpunkt, dass der, der wirklich
anrufen will, auch anruft &endash; egal, ob die
neunstellige Nummer gegliedert in der Info-Broschüre
erscheint oder nicht!
12
Sperre Überschriften!
Weiße Schrift auf schwarzem Grund ist natürlich
ein erstklassiges Mittel, um sich von der Konkurrenz
abzuheben. Wenden Sie es extensiv an. Unterschneiden
Sie! Typo-Profis geben in solchen Fällen zwar
etwas Raum-Zugabe (in Xpress: ein bis drei
Einheiten), aber die haben offensichtlich Platz zu
verschenken. Sie hingegen geben Platz dort zu, wo es
wirklich drauf ankommt: beim Satz großer
Headlines. Grafiker schauen in diesem Fall, ob es
spezielle Display-Schriftversionen gibt oder
unterschneiden die Buchstaben. Zusätzlich
gleichen Sie Abstände zwischen einzelnen
Zeichen aus (etwa: »V« und»a«).
Welche Mühe! Ihre jedenfalls sollte in die
umgekehrte Richtung gehen: Anstatt den Schriftraum für
die Aufmerksamkeit erheischende Headline kleiner zu
machen (angeblich soll dies der Leseerfassung aus größerer
Entfernung entgegenkommen), sollten Sie Ihn durch
Sperren vergrößern, frei nach dem Motto:
Viel hilft viel!
aus »Publishing Praxis«
{invers} 2002/6–7, SS. 59–62.
www.publish.de