H. P. Willberg ging in seiner Einteilung auf die formalen und stilistischen Merkmale der Schrift ein. Der Versuch klammerte die gebrochenen Schriften aus. Willberg versuchte keine lückenlose Systematik oder endgültige Klassifizierung der Schrift aufzustellen, sondern wollte einen „Wegweiser für die Schrift“, der beispielsweise auch für das Mischen von Schriftfamilien verwendet werden kann, darstellen. Die Groteskschriften, die für diese Arbeit von Bedeutung sind, teilte der Fachmann in dynamische, geometrischeund statische Grotesk.
Die dynamische Grotesk
Die Achsen der Rundungen sind schräg versetzt wie bei der dynamischen Antiqua. Betonung der Waagerechten. Die Buchstaben sind deutlich unterschieden geformt (zweistöckiges g, offenes a). Die Buchstaben nehmen Kontakt zu ihren Nachbarn im Wortbild auf und gehen wie Wanderer gemeinsam durch eine Zeile. Eindeutige Zeilenführung und leicht erkennbare Wortbilder. Gute Lesbarkeit. Ohne Probleme für vielerlei Aufgaben einsetzbar. Die Entstehung der Formen kann man so erklären: Wenn die Haarstriche einer dynamischen Antiqua verstärkt werden, ergibt sich eine ‚dynamische Grotesk‘. So bleibt eine Spur vom Schreiben mit der Breitfeder mit diesen Schriften verbunden (Willberg, 2003: 60).
Die geometrische Grotesk
Die kreisrunden Buchstaben der konstruierten Groteskschriften treffen auf ihre Nachbarn im Wort wie Billardkugeln, sie stoßen einander ab. Manche Buchstaben sind einander sehr ähnlich, sie müssen dem Programm folgen – mehr Roboter als Individualisten. Wer mit diesen Schriften funktionierende Typographie machen möchte, muss viel können. Der Buchstabenabstand muss sehr sorgfältig austariert werden, nicht zu eng und nicht zu weit, ebenso der Wortabstand. Ausreichender Durchschuss ist nötig. So wie sie aus dem Computer kommen, sind diese Schriften meist nicht einsatzfähig. Die Idee, eine Schrift nicht vom Schreiben her ‚wachsen‘ zu lassen sondern zu konstruieren, stammt aus den 20er Jahren. Funktionalismus, ‚Mechanisierte Graphik‘ (Paul Renner). Damals entstand eine ganze Reihe von derartigen Grotesk-Schriften. Am berühmtesten und beliebtesten wurde die Futura. Sie ist bis heute im Einsatz. Die konstruierten Grotesk-Schriften können ästhetisch sehr reizvoll sein, machen aber dem Typographen das Leben nicht leicht, wenn es um längere Lesetexte geht (w. o.).
Die statische Grotesk
Die Formen der Buchstaben sind in sich geschlossen. Sie stehen im Wortbild nebeneinander wie Soldaten, lehnen sich aneinander an, aber bewegen sich nicht miteinander durch die Zeile. Die Senkrechte ist betont. Die Achsen stehen senkrecht und waagerecht. Das a ist offen, das g ohne untere Schleife. Wenn sie zu eng gesetzt werden, kann sich eine ‚Gartenzaun-Wirkung‘ ergeben. Bei mehrzeiligen Texten ist deshalb ein ausreichend großer Durchschuss nötig. Ruhiges, nüchternes Gesamtbild. Wer sie für längere Lesetexte verwenden will, braucht typographische Erfahrung (w. o.: 61).
Die statische Grotesk, amerikanische Grotesk
Schmale Buchstaben, einfache, aber eindeutig ausgeprägte Formen (doppelstöckiges g), die auch bei schlechter Behandlung ihren Zweck erfüllen. Diese Untergruppe der statischen Grotesk wird auch ‚Amerikanische Grotesk‘ genannt. Die oben beschriebene statische Grotesk hat eine Schwester. Ihre Buchstaben sind eher Arbeiter an der gemeinsamen Aufgabe als Soldaten in Reih und Glied. Die Aufgabe lautet: Auch bei schlechtem Druck auf groben Papier in kleinen Schriftgraden gut lesbar sein, wenig Platz in Anspruch nehmen, kurz: für den Zeitungsdruck im Rotations-Hochdruck spezialisiert sein. Das war um 1906. Ihre so entwickelten Eigenschaften wurden von einigen neueren Schriften übernommen, sie erweisen sich auch heute als Vorzüge (w. o.).
Quelle: Matrix von Hans Peter Willberg. Nach: Willberg, 2003: 78f. Beispiele typovia e. U.